Was ist Atemtherapie

Kurzbeschrieb

Atemtherapie zählt zu den ältesten menschlichen Heilverfahren. Durch achtsames Atmen und Atembewusstsein können Beschwerden gelöst, der Gedankenfluss beruhigt und die im Menschen angelegten körperlichen, seelischen und geistigen Kräfte gestärkt werden. Das begleitende therapeutische Gespräch unterstützt den Wahrnehmungs- und Bewusstseinsprozess der Klient/innen und ermöglicht ihnen, über die eigenen Erfahrungen, Gefühle, Verhaltensmuster, Motivationen und Reaktionen Klarheit zu erlangen. Besonderer Wert wird auf die Integration des Erfahrenen in den Alltag gelegt.

Hintergrund und Philosophie

Die Entwicklung des Wissens um die Aufgaben und Wirkungsweisen des Atems zählt zu den ältesten Errungenschaften menschlicher Kultur und Heilkunde und reicht über 4000 Jahre zurück. In vielen religiösen Systemen waren Atem und Lebenskraft gleichbedeutend. In der östlichen Welt entwickelten sich auf dieser Grundlage Atem- und Bewegungsschulen wie Yoga, Zen-Praktiken, Qi Gong und Tai-Chi, im antiken Griechenland die „Pneumaschulen“.

Im Mittelalter fanden die Erkenntnisse der antiken Natur- und Atemlehre Eingang in westeuropäische Lehrbücher. Heiler/innen und Ärzte wie Hildegard von Bingen oder Paracelsus („Alle Heilung geht durch den Atem“) kannten die sanfte Heil- und Reinigungswirkung atemgymnastischer Übungen. Mit dem Siegeszug der modernen Industriegesellschaft dominierte in der westlichen Welt jedoch lange eine naturwissenschaftliche, funktionell-mechanische Sicht des Atems, während das ursprüngliche Wissen zunehmend in Vergessenheit geriet.

Erst mit der lebensreformerischen Bewegung der Biedermeierzeit (1815-1848) erhielt die Naturheilkunde neuen Auftrieb. Sie thematisierte die Körper-Seele-Beziehung und erkannte den Atem als eigenständiges geistiges und spirituelles Phänomen. Der französische Schauspieler François Delsarte gab den Anstoss zur Entdeckung des schöpferischen Ausdruckes des Atems. Mit dem Einfluss östlicher Philosophiesysteme wurden bestimmte Bereiche des Yoga in westliche Körper- und Atemübungen übernommen. Carl Gustav Jung, Gustav Heyer, Wilhelm Reich und Cornelis Veening prägten die Entwicklung
einer psychologisch orientierten Atemarbeit. Nach Veening kann der Mensch mit der Freisetzung seines eigenen Atemrhythmus’ eine transzendente Tiefe erreichen. Der Arzt Johannes Ludwig Schmitt widmete sich während Jahrzehnten der praktischen Anwendung der Atemwissenschaft und Atemtherapie und legte das Fundament für eine Zusammenstellung der speziellen Anatomie und Physiologie der Atembehandlung. Er entwickelte eine Ganzheitsbehandlung, welche die natürlichen Heilkräfte des Menschen anregt und entfaltet, und betonte den Aspekt der Selbsthilfe, den die Atemheilkunst beinhaltet.

Nach 1945 wurden die von diesen Pionieren der westlichen Atemheilkunde gelegten Fundamente von zahlreichen Schülern und Schülerinnen mit unterschiedlichen Akzentsetzungen weiterentwickelt und ausdifferenziert. Elisabeth von Gunten, Ilse Middendorf, Margrith Schneider, Klara Wolf, Volkmar Glaser, Edith Gross, Yvonne Maurer oder Hinrich Medau entwickelten eigene Atemtherapien und -schulen. Sie unterscheiden sich in ihrem Therapie- und Praxisverständnis, gehen aber vom Menschen als sozial eingebetteter, körperlich-seelisch-geistiger Einheit aus.

Therapie – Wirkungsweise - Arbeitstechniken

Der Atem umfasst den Menschen in seiner Ganzheit, da die Atmung als lebensnotwendige Grundfunktion mit allen Vorgängen im Organismus verbunden ist. Alltagsverhalten, Gedanken, Gefühle und körperliche Veränderungen wirken sich auf die Atmung aus. So kann es zu Atemstörungen kommen, die das natürliche Atempotenzial verringern können, falls sie über längere Zeit auftreten. In der Folge werden einzelne Körperregionen zu wenig angeregt und die Organe nicht mehr optimal mit Sauerstoff und Energie versorgt. Es entstehen Verspannungen, Blockaden und Erschöpfungszustände im körperlichen und seelisch-geistigen Bereich, die zu Stress und körperlichen Beschwerden führen.

Bei der Befunderhebung orientiert sich die Atemarbeit am Atem-, Spannungs-, Haltungs- und Bewegungsbild, an der Stimme, am Energiegeschehen und den Äusserungen der Klient/innen im Gespräch. Dabei prüfen die Atemtherapeut/innen Faktoren wie die Qualität des Atems (Atemrhythmus-, -frequenz, -volumen und -fluss, usw.), die Grundspannung der Muskulatur (Spannungsunterschiede im Körper, Atemschwingung, Haltung, Bewegungsfluss, Reaktionsfähigkeit etc.), die Qualität der Stimme als Ausdruck der Stimmorgane sowie das Energiegeschehen insgesamt (Wahrnehmungen, Gedanken, Vorstellungen, Gefühle und die allgemeine körperliche, seelische und geistige Befindlichkeit).

Der Atem als die Verbindung zwischen Körperinnenraum, dem energetischen Umraum und dem spirituelle Bezug wird dabei als feinster Seismograph wahrgenommen und bildet die Grundlage für den Therapieverlauf.

Gemeinsam mit den Klient/innen werden der Befund besprochen und mögliche Behandlungsschritte festgelegt. Je nach Indikation werden alsdann verschiedene Körperregionen, Muskelketten, Organsysteme und Stoffwechselvorgänge durch unterschiedlich gestaltete Bewegungen und Behandlungselemente in ihrer Funktion gestärkt. Hierzu zählen Wahrnehmungsübungen zu Energiefluss, Körper- und Atemraum, Körperumgebung und Befindlichkeit, Dehnungen, taktile Atembehandlungen auf der Haut oder über der Kleidung, Atemmeditationen, Vokalraumübungen, Tönen mit der Stimme und Musikinstrumenten und andere.

Die Übungen werden in liegender, sitzender, stehender Position oder in der Bewegung ausgeführt. Dabei wird grosser Wert auf die Entwicklung und Pflege des Atembewusstseins, der Empfindungs- und Erlebnisfähigkeit sowie auf das therapeutische Gespräch gelegt. Behandlungen, Bewegungsabläufe, die vokale und nonverbale Ausdrucksarbeit sowie die beratende Gesprächsführung orientieren sich an der Zielsetzung der ganzheitlichen Entfaltung. Damit wirkt die Atemarbeit darauf hin, die natürlichen Atembewegungen und -reaktionen wieder zu finden und auf diese Weise die körperlichen, seelischen und geistigen Fähigkeiten und Anlagen des Menschen zu fördern. Dadurch wird er belastungsfähiger und kann den Anforderungen im Leben leichter begegnen.

Körper- und Atemtherapie kommt je nach Indikation in der Einzelsitzung oder in Gruppen zur Anwendung. Sie eignet sich sowohl für Erwachsene jeden Alters als auch für Kinder und Jugendliche.

Grenzen

Die Atemtherapie orientiert sich am Kontakt und der Präsenz des Menschen in seiner aktuellen Situation. Es bestehen keine atemspezifischen Kontraindikationen. Bei akuten, psychotischen Zuständen oder akuten Infektionskrankheiten ist Atemtherapie nicht die Methode erster Wahl.

Zur Schwangerschaft- und Geburtsvorbereitung, zum Rückbildungs- und Beckenbodentraining sowie zur Behandlung von Asthma, Organ- und Haltungsschwächen werden spezifische Behandlungsformen angeboten.

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